GUT LEBEN MIT GUTER ARBEIT

Neues Papier vom AfA Bundesvorstand für die kommenden Bundeskonferenz.

SICHERE ARBEIT – FAIRE BEZAHLUNG – MITBESTIMMTE QUALIFISZIERUNG – SOZIALE ABSICHERUNG

1. ZEHN PUNKTE AUF DEM WEG ZU GUTER ARBEIT

1) Die SPD ist die Partei für alle Menschen, die von ihrer Arbeit leben. Wir kümmern uns um alle ArbeitnehmerInnen. Uns geht es nicht zuerst um bestimmte Gruppen, beispielsweise jene vielleicht 40% der Beschäftigten, für die mobiles (Büro-)Arbeiten in Frage kommt oder die, die aufgrund einer Sonderstellung ihre Bedürfnisse als Einzelpersonen durchsetzen können. Wir haben den Arbeitsalltag der großen Mehrheit, ja letztlich aller, im Blick. Gleich, ob es um mobiles Arbeiten geht oder die Präsenz am Arbeitsplatz: wir brauchen den Ausbau kollektiver Gestaltungsmacht in den Betrieben, Verwaltungen und Einrichtungen. Es geht um mehr betriebliche Mitbestimmung, damit wir die Rechte der einzelnen durchsetzen, konkurrierende Interessen ausgleichen und Regelungen kontrollieren können. Als Beispiele seien nur die Erfassung, Verkürzung und Regelungen der Arbeitszeiten und der Nichterreichbarkeit in der Freizeit genannt. Ohne Betriebsrat und betriebliche Vereinbarungen laufen diese Ansprüche ins Leere. Die bisherigen Vorschläge für die Errichtung von mehr Betriebsräten reichen nicht aus, um auch diejenige Mehrheit der Beschäftigten zu schützen, die bisher keine betriebliche Interessenvertretung haben. Daher bedarf es gesetzlicher Regelungen, die Betriebe unter Zugzwang setzen, die keinen Betriebs- oder Personalrat haben. Das kann geschehen behördliche Kontrollen und eventuell notwendige Sanktionen, gesetzlich neu zu errichtende überbetriebliche, beispielsweise gewerkschaftliche Interessenvertretungen, sei es der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen, Subventionen oder Beschränkungen beim Anwerben von ausländischen Fachkräften. Um Tarifflucht zu verhindern, um neue Beschäftigungsformen zu schützen und Umstrukturierungen mitzugestalten, unterstreichen wir die Forderung nach Mitbestimmung der Betriebsräte in wirtschaftlichen Fragen. Die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat wollen wir auf Betriebe und Unternehmen ab 1000 Beschäftigten ausweiten, und zwar auf alle Branchen nach dem Montan-Modell.

2) Mobiles und flexibles Arbeiten wirft komplexe rechtliche Fragen zum Schutz der Beschäftigten auf: Unfallversicherung, Schutz der Privatsphäre, geregelte Zeiterfassung, Arbeitnehmerdatenschutz, Übernahme der zusätzlich anfallenden Kosten im Homeoffice, Reichweite und Umsetzung der Arbeitsstättenverordnung und einiges mehr. Das Recht auf Homeoffice muss ein Recht des Beschäftigten bleiben und nicht das Recht auf einen „normalen“ Arbeitsplatz ersetzen. Diese Fragen sind im unmittelbaren Zusammenhang und unter Beteiligung der Sozialpartner, im Bedarfsfall gesetzlich, zu regeln. Die Arbeitnehmerschaft darf nicht zum Versuchskaninchen profitorientierter oder technikzentrierter Managementstrategien werden.

3) Trotz einiger Erfolge wie bei der Brückenteilzeit wächst der Bereich prekärer Beschäftigung mit Befristungen, Leiharbeit, Scheinselbständigkeit, Minijobs, tariffreien Zonen und prekärer unfreiwilliger Teilzeit weiter. Diesen Trend müssen wir endlich brechen und prekäre Arbeit weiter zurückdrängen und schließlich beseitigen. Sachgrundlose Befristungen müssen weiter eingedämmt werden und sollen zu einer Ausnahme für Beschäftigte werden. Bei Wiedereingliederungen in den Arbeitsmarkt können diese Art der Befristung eine Möglichkeit zur Besetzung von Arbeitsplätzen sein.

4) Beliebig dehnbare Arbeitszeitkonten, mobiles Arbeiten, generell wachsender Leistungsdruck und zunehmende Stressfaktoren tragen hohe Risiken für die Gesundheit, vor allem auch in psychischer Hinsicht, in sich. Humanisierung der Arbeit, wirksamer Arbeits- und Gesundheitsschutz gehören zu den Kernpunkten moderner Arbeitspolitik. Das Urteil des EuGh zur verbindlichen Erfassung der Arbeitszeiten durch die Arbeitgeber ist daher uneingeschränkt zu begrüßen und ohne Abstriche in nationales Recht umzusetzen. Betriebs- und Personalräte sind in die Lage zu versetzen, dies betrieblich zu regeln und zu kontrollieren. Wo diese fehlen, ist die Kontrolle eine Aufgabe der zuständigen staatlichen Behörden oder der Gewerkschaften, die entsprechend personell, technisch und fachlich auszustatten sind.

5) Mehr Flexibilität und mobiles Arbeiten reichen nicht aus, um die Bedürfnisse der
Beschäftigten nach generell kürzeren Arbeitszeiten zu befriedigen. Wir müssen einerseits
die Schutzregelungen des Arbeitszeitgesetzes verteidigen und andererseits eine neue
gesellschaftliche Debatte um Arbeitszeitverkürzung eröffnen. Flexibilität hat dort ihre
Grenzen, wo sie Gefahren für die Gesundheit, problematische Lebensentwürfe,
Vermittlungshemmnisse, Diskriminierungen und/oder Spaltung von Belegschaften
hervorbringt.

6) Ein wichtiges Element einer Debatte um Arbeitszeiten sollte sein, dass wir die
zunehmenden Belastungen durch Entfernungen und Fahrzeiten zum und vom Arbeitsplatz,
also das beruflich bedingte Pendeln, nicht mehr allein bei den Beschäftigten abladen.
Außerdem brauchen wir Instrumente, um zu verhindern, dass Beschäftigte, denen es
verwehrt ist, mobil oder im Home-Office zu arbeiten, noch stärker benachteiligt werden.
Wir werden Anreize für die Arbeitgeber entwickeln,
• mobile Arbeit im Einvernehmen mit den Beschäftigten und ihren
Interessenvertretungen zu ermöglichen,
• Arbeit zu dezentralisieren anstatt in den Metropolen zu konzentrieren,
• sich stärker für den Ausbau der öffentlichen Verkehrssysteme zu interessieren und
• bezahlbare Wohnungen in der Nähe des Arbeitsplatzes zu schaffen.

7) Qualifizierung ist für uns ein Kernelement der Arbeitswelt der Zukunft. Sie darf nicht nur
theoretisch allen offen stehen und nicht nur im Rahmen der Arbeitsversicherung geregelt
sein. Qualifizierung muss Teil der betrieblichen Realität für alle werden. Das geht nur mit
gesetzlichen Bestimmungen im Rahmen einer echten „vierten Säule“ des
Bildungssystems, die zeitliche (Freistellung), qualitative (Zertifizierung) und finanzielle
Ansprüche der einzelnen Beschäftigten regeln. Die flächendeckende Finanzierung wollen
wir nicht durch neue steuerliche Subventionen an die Unternehmen oder zulasten der
Beitragszahler mit der Gießkanne sicherstellen, sondern durch eine gesetzliche Umlage,
die sich an der Größe und Ertragskraft der Unternehmen orientiert. Damit und durch die
Bildung regionaler oder branchenbezogener Fonds wollen wir auch Beschäftigten
kleinerer und mittlerer Betriebe die Teilnahme an hochwertigen Weiterbildungsangeboten
ermöglichen.

8) Der gesetzliche Mindestlohn muss armutsfest werden. Bei Vollzeitbeschäftigung bedeutet
das ein Nettomonatseinkommen oberhalb der Armutsgrenze, also oberhalb von 60% des
Medianlohnes (mathematischer Durchschnittswert). Daraus müssen sich auch ein ALG I
und nach 45 Versicherungsjahren eine Rente jeweils oberhalb der Grundsicherung
ableiten. Deshalb brauchen wir eine dynamische Anpassung dieser absoluten Untergrenze.

9) Wir teilen die Auffassung, dass das bestehende System der Grundsicherung am
Arbeitsmarkt grundlegend geändert werden muss. Es entwertet Erwerbsbiografien und
Lebensleistungen, stellt Arbeitsuchende unter Generalverdacht, übt Druck auf Löhne und
Arbeitsbedingungen aus, verursacht Ausgrenzung und Abstiegsängste. Auch spaltet es
mental, sozial und politisch die Gesellschaft. Eine längere Bezugsdauer von ALG I mit
verbesserten Qualifizierungsmöglichkeiten und auch mehr Förderung für
Langzeitarbeitslose sind der richtige Weg. Allerdings dürfen wir mit dem Begriff
„Bürgergeld“ für die bisherigen Hartz IV-Leistungen keine falschen Vorstellungen
wecken, sondern sollten die Regelungen beim ALG II viel deutlicher verbessern. Dieses
muss, da es an Menschen gezahlt wird, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen,
deutlich, mindestens 25%, über der Grundsicherung liegen und den Arbeitsuchenden
individuell, also ohne Einbezug einer „Bedarfsgemeinschaft“, zur Verfügung stehen. Die
bisherigen Regelungen zur Bedürftigkeitsprüfung sind generell in Frage zu stellen und
nicht nur für zwei Jahre. Langzeitarbeitslose sind wieder mit Beiträgen in die
Rentenversicherung einzubeziehen. Arbeitsvermittlung hat zur Bekämpfung von
Lohndumping die Arbeitsbedingungen für zumutbare Arbeit zu prüfen.

10) Soweit es sich nicht um beitragsgedeckte Leistungen der Arbeitslosenversicherung oder
um Ausbildungsumlagen handelt, geht es bei den geforderten Maßnahmen und
Sozialtransfers um Zukunftsinvestitionen (Erhalt und Verbesserung des „Humankapitals“,
Erhöhung der Erwerbstätigenquote, Ausbau der Fachkräftebasis, gesellschaftlicher
Zusammenhalt). Dies hat der Staat im Interesse des Gemeinwohls zu organisieren und
daher über Steuern zu finanzieren. Ein neues sozialdemokratisches Steuerkonzept zielt
daher auf eine sozial gestaltete Verbreiterung der Einnahmebasis ab und sucht dafür neue
Mehrheiten. Die Arbeit der Zukunft muss Gute Arbeit sein. Das Recht auf Arbeit ist ein
Recht auf gute Arbeit.

2. EINE NEUE ARBEITSMARKTPOLITIK SCHAFFEN – DER WEG ZUR
ARBEITSVERSICHERUNG

Die bestehenden Regelungen zum Arbeitslosengeld II genügen zentralen Anforderungen an
Gerechtigkeit und gute Arbeit nicht. Sie verstoßen an zentralen Punkten gegen unsere
Grundwerte und den Auftrag an eine moderne, erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik:
– Sie gehen von der Grundannahme aus, dass Arbeitslosigkeit nicht wirtschaftlichen
Verhältnissen und unternehmerischen Entscheidungen geschuldet ist, sondern
individuellem Versagen. Sie unterstellen Langzeitarbeitslosen, dass sie behördlichen
Druckes und weniger der konkreten Hilfe bedürfen, um sich wieder in den
Arbeitsmarkt einzugliedern;
– Sie entwerten Erwerbsbiografien und Lebensleistungen, indem sie die Betroffenen
nach jahrelanger Arbeit nach einem Jahr zu Grundsicherungsempfängern mit allen
Folgen machen oder junge Menschen schon zu Beginn ihres Arbeitslebens entmutigen
und unter besonderen, unangemessenen Druck setzen ;
– Sie zwingen die Menschen, jede Arbeit auf einem zersplitterten und prekären
Arbeitsmarkt anzunehmen;
– Sie zementieren selbst in Zeiten guter Arbeitsmarktlage einen umfangreichen
Niedriglohnsektor und setzen dauerhaft eine Lohnspirale nach unten in Bewegung;
– Sie ermöglichen, ja verlangen Sanktionen gegen das ohnehin zu niedrig berechnete
Existenzminimum und bedrohen Menschen in letzter Konsequenz sogar mit
Obdachlosigkeit, Nahrungsmangel und Stromabschaltung nicht nur in ihrer Würde,
sondern in ihrer materiellen Existenz;
– Sie lösen in weiten Teilen der Arbeitnehmerschaft berechtigte Abstiegsängste aus;
– Sie spalten die Gesellschaft sozial und – wie wir immer mehr erleben – auch politisch.
Mit dem von der SPD durchgesetzten Qualifizierungschancengesetz wurden erste richtige
Schritte gemacht. Eine umfassende Reform der Arbeitsmarktpolitik ist unumgänglich, wie sie
auch im Beschluss des Parteivorstandes „Arbeit, Solidarität, Menschlichkeit, Teil 1“
vorgeschlagen ist. Wir brauchen ein Gesamtkonzept anstatt einzelner Reparaturen. Im Bereich
der Arbeitsförderung/ Ausstieg aus Hartz IV gehören dazu folgende Eckpunkte:
– Möglichst vielen Menschen wollen wir Langzeitarbeitslosigkeit ersparen und sie vor
sozialem Abstieg schützen. Auch geht es darum, möglichst vielen Arbeitsuchenden
und Geringverdienenden eine Perspektive zur Befreiung aus dem Hartz- IV-System zu
eröffnen. Wer langjährig sozialversicherungspflichtig beschäftigt war (10 Jahre und
mehr), soll deutlich länger im Regelkreis des ALG I verbleiben und
dementsprechenden Zugang zu Weiterbildung, intensiver Betreuung und Vermittlung
haben.
– ALG I muss entsprechend der vorherigen Beschäftigungsdauer länger bezogen werden
können und sich bei der Teilnahme an Weiterbildung entsprechend verlängern (ALG
Q). Zudem brauchen wir eine Mindesthöhe des ALG I, die eine Aufstockung durch
ALG II unnötig machen muss. Dazu kann ein armutsfester Mindestlohn einen wichtigen Beitrag leisten. Der Übergang zum Bezug von ALG II sollte wieder über zeitlich gestreckte Abstufungen erfolgen.
– Arbeitslosengeld II wird Menschen gezahlt, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung
stehen. Wie ursprünglich von der Hartz-Kommission und der SPD vorgesehen, muss
ALG II deutlich, nach unserer Auffassung um mindestens 25%, oberhalb der
Grundsicherung liegen.
– Beim ALG II ist von einer individuellen Betrachtungsweise der arbeitsuchenden
einzelnen Menschen – einschließlich der Sonderbedarfe – anstatt der
Bedarfsgemeinschaft auszugehen. Eine Anrechnung von Einkommen anderer
Familienmitglieder der Bedarfsgemeinschaft muss unterbleiben.
– Als zumutbar gilt in Zukunft nur noch nicht-prekäre, tariflich bzw ortsüblich bezahlte
Arbeit.
– Die Förderung für Langzeitarbeitslose ist massiv auszubauen, vor allem, was
Qualifizierung und Vermittlung – auch in einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt –
betrifft.
– Die Grundsicherung ist bedarfsgerecht nach den Vorschlägen der Wohlfahrtsverbände
anzuheben. Diese existenzsichernde Leistung ist von Sanktionen auszunehmen Die im
Sozialstaatpapier der SPD geforderte sozialdemokratische Grundsicherung muss
umgesetzt werden. Zeiten des Bezuges von ALG II sind künftig wieder als
Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem halben Entgeltpunkt
zu werten.
– Die Bedürftigkeitsprüfung und die Anrechnung von „Vermögen“ stellen wir
grundsätzlich in Frage. Die derzeitigen Grenzen sind viel zu niedrig, sie entwürdigen
und lösen Angst aus. Es verstößt gegen den gesunden Menschenverstand, dass sich
jemand im staatlichen Auftrag erst selbst arm machen muss, um dann staatliche Hilfe
zu erhalten. Große Vermögen wollen wir künftig wieder besteuern, Vermögenserträge
und alle Formen von Einkommen sind ohnehin steuerpflichtig. Die Kontrolle in ihrer
jetzigen Form erfordert überproportionalen bürokratischen Aufwand, der besser bei
der Bekämpfung der Schwarzarbeit und des Lohndumpings betrieben werden sollte.
– Um Lohndumping und der Ausnutzung der Notlage von Langzeitarbeitslosen
vorzubeugen, sollten die Job-Center in Zukunft verpflichtet werden, bei ihrer
Vermittlungstätigkeit die Arbeitsbedingungen der aufnehmenden Betriebe zu prüfen.
Das Lohnabstandsgebot muss durch die Austrocknung des Niedriglohnsektors erreicht
werden und nicht durch das Herunterschrauben der Lohnersatzleistungen und der
Grundsicherung. Dazu brauchen wir vor allem:
– einen deutlich höheren, armutsfesten Mindestlohn,
– mehr Tarifbindung, Vergabe von öffentlichen Aufträgen nur an Unternehmen mit
Tarifbindung (siehe auch Text 6)
– die Neuregelung der Minijobs mit Sozialversicherungspflicht ab der ersten Stunde,
– wirksame Kontrollen bei der Einhaltung der gesetzlichen Regelungen zu den
Arbeitsbedingungen auch bei der Vermittlungstätigkeit der Arbeitsverwaltung und
– die Abschaffung prekärer Arbeit.

 

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